Queer, jung, zu Hause auf dem Land. Während in Großstädten das Bewusstsein für Queer sein stetig wächst, sind die Lebensumstände für junge queere Menschen in ländlichen Gebieten oft herausfordernd. Vielerorts mangelt es an Unterstützungs- und Austauschmöglichkeiten. An diesem Punkt setzt Biste Bunt aus Neuötting an. Das Projekt bietet Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine einzigartige Beratungs- und Vernetzungsmöglichkeit. Zwar ist vielen der Begriff „queer“ bereits bekannt, doch noch längst nicht allen. Das möchte Marcello Reimann ändern und mit seiner Arbeit ein Verständnis für das Thema schaffen. „Es soll für junge Menschen leichter sein, ein Teil der Gesellschaft zu sein“, erzählt der Erzieher. Gemeinsam mit seiner Kollegin, Bettina Dauenhauer, betreut er seit 2022 das Projekt Biste Bunt. Damit sind sie ein wichtiger Ansprechpartner für alle Interessierten im Umkreis. Das Angebot von Biste Bunt ist vielseitig. Es umfasst die Beratung von jungen queeren Menschen und deren Angehörige, Sensibilisierungsworkshops an Schulen sowie monatliche Gruppentreffen, die dem Austausch und Vernetzen dienen.
Beratung, Workshops und Gruppentreffen
Die Kernaufgabe von Biste Bunt ist die ambulante Kinder- und Jugendhilfe. Dabei liegt der Fokus auf der Beratung. Reimann und seine Kollegin stehen jungen Menschen bei persönlichen Anliegen zur Seite. Auch Angehörige können sich bei Fragen an das Team wenden. Die Beratung erfolgt entweder telefonisch, per E-Mail oder persönlich vor Ort. Außerdem gibt es keine festen Sprechstundentermine, sondern das Team von Biste Bunt berät bedarfsweise. Obwohl die Beratung auf Wunsch auch anonym sein kann, greifen viele junge Menschen oft auf Online-Beratungen von größeren Netzwerken zurück. Diese sind meistens bekannter und daher leichter auffindbar im Internet. Reimann und seine Kollegin haben daher meist nur eine Beratung im Monat. Ein weiterer wichtiger Bereich von Biste Bunt ist die Sensibilisierungsarbeit an Schulen. Mithilfe von Workshops fördern sie das Verständnis für queere Themen, indem sie unter anderem wichtige Begriffe erklären. Außerdem thematisieren sie Coming-Out-Erfahrungen. „Da gehen wir zum Beispiel auch auf Diskriminierungserfahrung ein, weil die ziemlich heftig sein können“, erzählt Reimann. Das Ziel der Workshops sei, dass die Schüler*innen ein Bewusstsein für die Vielfalt sexueller Orientierungen erhalten. Am Ende des Kurses haben die Schüler*innen die Möglichkeit, ein anonymes Feedback zu geben oder Fragen zu stellen. In jeder Klasse gebe es dabei in der Regel mindestens eine Person, die sich bereits gut mit dem Thema auskenne und eine, die Vorbehalte äußere. „Der direkte Austausch ist in solchen Fällen sehr wichtig“, erklärt Reimann. Nur so könne auch eine gute Diskussion entstehen und möglich Vorurteile können abgebaut werden.
Neben der Beratung und den Workshops bietet Biste Bunt auch regelmäßig stattfindende Gruppentreffen für junge queere Menschen an. Die Treffen sind offen gestaltet und bieten Raum für verschiedene Aktivitäten. So werden Karten gespielt, Musik gehört und es wird einfach miteinander geredet. Bei den Treffen kann über queere Themen gesprochen werden, aber es ist kein Muss. Vielmehr ist es ein Ort, an dem sich junge Menschen austauschen und vernetzen können. In der Regel nehmen etwa acht Personen teil. Der Großteil ist schon lange dabei, aber es kommen auch immer wieder neue hinzu. Die meisten davon werden über Mundpropaganda auf Biste Bunt aufmerksam.
Langfristige Finanzierung ungewiss
Insgesamt werden die Angebote des Projekts sehr gut angenommen. Mithilfe der Workshops an den Schulen hat Biste Bunt sogar eine kleine Einnahmequelle. Hauptsächlich wird das Projekt aber vom Kreisjugendring und in Teilen auch von der AWO finanziert. Trotzdem dem ist die Finanzierung eine große Herausforderung. Für dieses Jahr ist das Projekt finanziell abgesichert, aber die Zeit danach ist ungewiss. Schließlich dauert unter anderem die Planung des Bayerischen Aktionsplans Queer noch an. Mithilfe des Aktionsplans werden in Zukunft mitunter Beratungs- und Unterstützungsstrukturen für queere Menschen gefördert. Die konkrete Umsetzung des Plans soll aber erst ab 2026 beginnen. Für Biste Bunt erschwere das eine langfristige Perspektive. Reimann wünsche sich in diesem Bereich daher noch mehr Unterstützung seitens der Politik.
Geringes Unterstützungsangebot auf dem Land
Insbesondere in ländlichen Gebieten sind Beratungsangebote, die auf die Bedürfnisse queerer Menschen eingehen, von großer Bedeutung. „Es ist nicht für alle Jugendlichen möglich, dass sie für queere Treffen in größere Städte fahren“, merkt Reimann an. Schließlich koste das Geld und Zeit. Außerdem akzeptieren noch nicht alle, dass Queer sein ganz normal ist. So komme es immer wieder zu Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen, die von Beleidigungen bis hin zu körperlicher Gewalt reichen. Im Auftrag des Bayerischen Jugendrings (BJR) hat das Forschungsprojekt „How are you“ der Hochschule Fresenius und des Instituts für Diversity- und Antidiskriminierungsforschung erst im letzten Jahr um die 2000 Personen im Alter von 14 bis 27 Jahren in Bayern befragt. Das Ziel war es, die Lebenssituation von queeren Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Freistaat zu untersuchen. Eines der zentralen Ergebnisse: Fast 94 Prozent der Befragten wurden mindestens einmal in ihrem Leben diskriminiert. Das zeigt umso mehr, dass es Angebote wie Biste Bunt dringend benötigt. Momentan sind Unterstützungsmöglichkeiten im ländlichen Bereich aber kaum vorhanden. Biste Bunt ist im Landkreis Altötting das einzige Angebot. Dieser Zustand ist für Jugendliche eine Herausforderung. Schließlich fördern Projekte wie Biste Bunt den Austausch und bieten einen geschützten Ort.
Für die Zukunft wünscht sich Reimann eine verstärkte gesellschaftliche Akzeptanz für das Thema und mehr Unterstützung für queere Menschen. Um dies zu gewährleisten wäre es nötig, dass alle Projekte in diesem Bereich genug finanzielle Mittel erhalten und das möglichst zeitnah. So könnte in Zukunft ein breites Netzwerk entstehen, worauf queere Menschen zugreifen können. Egal, wo sie wohnen. Außerdem hofft Reimann, dass die Diskriminierung schrittweise minimiert werden kann. Dafür brauche es aber eine noch offenere und tolerantere Gesellschaft. Um das langfristig zu erreichen, ist der Austausch über queere Themen elementar. Auch für junge queere Menschen ist es selbst sehr wichtig, dass sie über das reden, was sie bedrückt. „Der Austausch schafft Verbundenheit“, merkt Reimann an. Aufgrund von Diskriminierung und Ausgrenzung ist in ländlichen Gebieten diese Verbundenheit für junge queere Menschen umso bedeutsamer.
Der Artikel ist in der Ausgabe 2/2024 unserer Mitgliederzeitschrift WIR auf Seite 12 erschienen, siehe Wir mit dem Teil aus Oberbayern ab Seite 11 (PDF | 4 MB)
Text: Sabrina Huber
Fotos: Biste Bunt
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