„Hilfe zur Selbsthilfe“, das ist nicht nur eines der Urprinzipien der Arbeiterwohlfahrt, sondern auch der Alltag im Selbsthilfezentrum des Kreisverbands Traunstein. Zu dritt koordinieren und organisieren Christina Hille (links unten im Bild), Eva Fraunhofer (rechts im Bild) und Karin Klein zurzeit rund 90 Selbsthilfegruppen. Die Gruppen bieten geschützte Räume zum Austausch – von A wie Alleinstehende oder Alleinerziehende über R wie An Rheuma Erkrankte bis hin zum Gesprächskreis für Trauernde und für Von Zöliakie Betroffene.
Eine Selbsthilfegruppe gründen und leiten
Das Selbsthilfezentrum liegt in Traunstein zentral unweit der Bahnhofstraße, der Post und des Kinos. Seit 2021 ist das Selbsthilfezentrum in diesen Räumlichkeiten mit drei Büros und drei Gruppenräumen unterschiedlicher Größe, einem barrierefreien Zugang und einem behindertengerechten WC bzw. einer Dusche. Durch diesen Standort kommen immer wieder spontan Menschen herein, die an einer Selbsthilfegruppe teilnehmen oder eine eigene gründen wollen. So wie letztens eine Dame, die sagte: „Ich bin an Burn Out (Anm. d. Red.: chronischer Erschöpfungszustand) erkrankt und warte schon seit zwei Monaten vergeblich auf eine stationäre Behandlung. Ich möchte eine Selbsthilfegruppe gründen.“
Gesagt, getan. Die Mitarbeiterinnen des Selbsthilfezentrums organisierten Räumlichkeiten, machten die Gruppe bekannt und begleiteten die Dame bei den ersten Treffen der Teilnehmer*innen. Während einer solchen Gründungsphase haben die Mitarbeiterinnen des Selbsthilfezentrums normalerweise am meisten zu tun mit einer Gruppe. „Manche sehen wir danach häufiger, manche so gut wie gar nicht mehr“, berichtet Christina Hille, die das Selbsthilfezentrum leitet.
Während den Einschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie schrumpfte die Zahl der Selbsthilfegruppen auf circa 80. In dieser Zeit hieß es, das klassische Vor Ort-Angebot zu überdenken und neue Formate zu entwikeln. Einige Gruppen trafen sich in dieser Zeit virtuell. Sobald möglich gab es auch Treffen draußen, dann auch hybrid, das heißt, ein Teil der Gruppe war vor Ort, ein anderer per Video zugeschaltet.
Trägerschaft und Finanzierung
Seit 2009 ist der Kreisverband Traunstein Träger des Selbsthilfezentrums. Das Selbsthilfezentrum selbst feiert 2024 sein 40-jähriges Bestehen. Gefördert werden die Selbsthilfegruppen von den Krankenkassenverbänden in Bayern und dem Landkreis Traunstein. Die Finanzierung läuft immer für ein Jahr, dann werden neue Gelder beantragt.
Entsprechend überlegen Christina Hille und ihr Team sich immer wieder neue Projekte und bringen sie in die Vergabesitzung ein. „So ändern sich immer wieder die Schwerpunkte unserer Arbeit und die Projekte“, sagt Hille. Insgesamt ist der Fortbestand des Zentrums gesichert, da die Selbsthilfe ein fester Bestand der Versorgung ist. Selbsthilfe tut den Menschen gut und spart zum Teil auch dort Kosten ein, wo alternativ eine ärztliche Betreuung nötig wäre. Manchmal ergänzt sie auch eine anderweitige Behandlung oder Unterstützung.
Eine weitere regelmäßige Aufgabe des Selbsthilfezentrums ist es, Gruppenleiter*innen aus- und fortzubilden. Dafür werden zweimal im Jahr Veranstaltungen angeboten, bei denen es zum einen Vorträge gibt, zum anderen Zeit zum Kennenlernen und Austauschen eingeplant ist. Denn auch wenn die Gruppen unterschiedliche Themen behandeln, so haben sie dennoch alle ein gemeinsames Ziel: die Teilnehmenden zu unterstützen und die Lebensführung positiv zu beeinflussen. Kollegiale Beratung bietet das Zentrum ebenfalls an. Dafür hat sich Christina Hille qualifiziert.
Da gehört Zuhören ebenso dazu wie der Austausch konkreter Tipps. „Im Wartezimmer redet man eher selten darüber, wie zufrieden man mit dem Arzt oder der Ärztin ist“, sagt Hille, „in unseren Gruppen können die Teilnehmenden hingegen offen und ehrlich miteinander sprechen.“ Das hilft zum Beispiel Menschen, die neu sind: Neu vor Ort in Traunstein und/oder neu in ihrer Situation, sei es dass sie erkrankt sind oder in einer fordernden Lebenssituation, wie beispielsweise einer Trennung. Da sind viele dankbar für Informationen und geteiltes Wissen und geben die erworbenen Erkenntnisse später auch gerne weiter. Denn: Eine Selbsthilfegruppe leiten können nur selbst Betroffene.
Vielfältige Angebote für alle
Aber nicht nur für Teilnehmende von Selbsthilfegruppen, auch für alle anderen Menschen in und um Traunstein möchte das Selbsthilfezentrum ein Ort der Begegnung sein. Dafür gibt es weitere Angebote: Bei sogenannten Oasentagen können Methoden wie Qigong oder Yoga ausprobiert werden, um zu erfahren, was einem persönlich guttut. Oder es werden Referent*innen eingeladen, die zu unterschiedlichen Themen sprechen. Es gibt Wallfahrten und Ausflüge sowie die Formate „Walk and Talk“ und „Dogwalking“: Spaziergänge, die die ausgebildeten Sozialpädagoginnen des Selbsthilfezentrums anbieten, und bei denen Sorgen und Nöte besprochen werden können. Beim Dogwalking läuft Finn mit, der Therapiehund der Einrichtung, ein Australien Shepherd.
Die meisten der Angebote sind kostenlos, nur bei manchen fällt ein Unkostenbeitrag an. „Wir sind da“, sagt Christina Hille. „Auch für Menschen mit schmalerem Geldbeutel.“ Dafür setzt sie sich ein, verhandelt mit Partner*innen, beantragt auch Sachkosten und geht sparsam mit den Geldern um.
Dank des guten Netzwerkes kam letztens sogar die Ehrenamtsbeauftragte der Bayerischen Staatsregierung, Eva Gottstein, nach Traunstein zu einem Gespräch unter anderem mit dem Selbsthilfezentrum. Eine solche Aufmerksamkeit tut den Mitarbeiterinnen gut. So sehen sie ihre Arbeit geschätzt. Die rührige Leiterin sagt: „Wir würden uns mehr Personal wünschen, damit wir uns um alles kümmern können. Momentan können wir das ein oder andere nicht realisieren, da wir das personell nicht stemmen können.“
Das Prinzip Nehmen und Geben
So bunt wie die Angebote des Selbsthilfezentrums sind auch die Menschen, die sie wahrnehmen. Manche bleiben nur so lange, bis sich ihre persönliche Situation wieder verbessert hat. Manche sind schon seit Jahren dabei, zunächst als akut Betroffene, dann als Informationsweitergebende. Das Angebot ist auch ein Spiegel der Zeit: Die Corona-Gruppe besteht beispielsweise stabil im dritten Jahr. Gruppenleitungen kommen und gehen. Die einen sagen, nach vier Jahren ist es genug, die anderen leiten eine Gruppe bis zu ihrem Tod.
Der Zugang zu den Gruppen wird so niederschwellig wie möglich gehalten. An sich kann also jede*r mitmachen. Es werden Schnupperstunden angeboten, damit alle Beteiligten sehen können, ob man zueinander passt. Manchmal kommen die Mitarbeiterinnen des Selbsthilfezentrums auch nicht drumherum, eine*n Interessierte*n zu bitten, professionelle Hilfe anzunehmen, anstatt in eine Selbsthilfegruppe zu gehen. Durch das Prinzip des Gebens und Nehmens, auf dem die Selbsthilfegruppen beruhen, entstehen auch immer wieder Freundschaften, die außerhalb der Gruppe fortbestehen.
Der Artikel ist in unserer Mitgliederzeitschrift, Ausgabe 3/2023, auf Seite 12 erschienen, siehe Wir mit dem Teil aus Oberbayern ab Seite 11 (PDF | 4 MB).
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